Oberflächlich betrachtet könnte jemand vielleicht feststellen, daß der
Glaube des Rastafarismus rassistisch ist. Bei genauerer Betrachtung ergeben sich jedoch
viele verschiedene Aspekte, die vollständig diskutiert werden müssen, um zu
einem richtigen Schluß zu gelangen.
Natürlich gibt es wie in jeder Kultur rassistische Menschen, und solche, die keinen
Unterschied zwischen den Hautfarben machen. Grundsätzlich streben die Rastas die
Vereinigung aller Schwarzen an. Alle, die in ihrem Herzen aus Afrika stammen und zu ihren
eigentlichen Wurzeln finden, haben den "black spirit". Ein Glaube lehrt, daß
zuerst die Schwarzen ausgewählt werden, nach Zion zu kommen. Wenn dann noch Platz
ist, wird ein Rest aus den anderen Rassen ausgewählt. Diese Masse muß sich
dann gesammelt dem Jüngsten Gericht stellen.
Dies klingt – wenn man es auch nicht rassistisch findet – doch sehr radikal: Die
Schwarzen seien die bessere Rasse und würden deshalb an erster Stelle kommen, für
Zion auserwählt zu werden. Viele Rastas sehen die Gefahr für die Schwarzen
darin, ihre Identität zu verlieren. Ras Dagi sagt dazu [[76]]:
"Wir sind die Opfer der Gehirnwäsche der Sklaverei, und nun müssen wir uns wieder neu schaffen und festigen, damit wir unseren Stolz bewahren, getrennt von der europäischen Kultur, und die Macht afrikanischer Kultur in uns hineinziehen."
Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Ras Makonen meint [[76]]:
"Wir können uns nicht der Waffengewalt der europäischen Kultur stellen und gewinnen. Unsere einzige Hoffnung ist, unsere eigene afrikanische Kultur zu gebrauchen, und die Macht der Gedanken, um uns selbst zu vereinigen und die europäische Kultur zu überwinden."
Entgegen all diesen Meinungen ist doch der Begriff "One Love" – das gemeinschaftliche Verständnis und die "Oneness" – ein Hauptmerkmal des Rastafarismus [[77]]. Ein weiterer Lehrsatz ist: Tod den schwarzen und weißen Unterdrückern. Beachtenswert bei dieser Phrase ist, daß die schwarzen Unterdrücker als erste genannt werden. (!) Weiters wird häufig "Afrika für alle" gefordert.
Meiner Meinung nach ist aber die Frage des Rassismus beim Rastafarismus nicht (mehr) so relevant. In den 70-er und 80-er-Jahren waren die Unterschiede zwischen Schwarz und weiß sicher noch um einiges größer, aber ich finde, daß heutzutage Rastafarismus gegenüber Außenstehenden (also auch Weißen) viel offener geworden ist. Es ist kein Problem, auch als WeißeR Rasta zu sein. Vergleicht man die Lieder von Bob Marley mit denen von Ziggy Marley, seinem Sohn – also die Lieder zweier Generationen, erkennt man, daß Bob Marley viel öfter von den "weißen Ungläubigen" gesungen hat als es Ziggy Marley tut. In der Gesamtheit der Songs verwendete er viel öfter "I’n’I" als Ziggy Marley, der in seinen Liedern mehr die "people" anspricht – also die Ganzheit seiner Zuhörer. Er spricht – wenn er von Jah singt – nicht mehr ganz so die Person Haile Selassies an, sondern eher Gott.
Ich glaube, daß Rastafarismus beide Einstellungen (nur Schwarze können Rastas sein / Hautfarbe spielt keine Rolle) verfolgt. Manchmal, wenn der Glaube zu fundamentalistisch ausgelegt wird, findet man ohne Zweifel Ansätze von Rassismus, aber wenn man die Grundidee sieht, erkennt man leicht und unzweifelfrei den Gedanken der Gleichberechtigung aller Menschen. Und so, denke ich, ist es aber bei fast jeder Religion - auch dem Christentum.
"Rastafari lehrt die Liebe, völligen Frieden und
Brüderlichkeit unter den Menschen. Schwarz oder Weiß, amerikanisch oder
afrikanisch; es ist das Herz, das entscheidet, wer Rasta ist, und wer nicht, und nur
die Posaune des Gerichts wird wirklich Klarheit schaffen."
Samuel Clayton
[[78]]